Der Schriftzug „Dresden grüßt seine Gäste...auf Nazis verzichten wir!“ an einem Wohnhaus in Dresden

Sicherer Hafen Dresden

ANTRAG – Interfraktionell:
Gruppe von Stadträt*innen

Beschlussvorschlag:

Der Stadtrat beschließt:

1. Die Landeshauptstadt Dresden erklärt sich gegenüber dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat bereit, Geflüchtete über die Verteilungsquote hinaus in Dresden aufzunehmen.

2. Die Landeshauptstadt Dresden schließt sich der Initiative „Seebrücke – schafft sichere Häfen“ an und bekennt sich zur Potsdamer Erklärung der „Städte Sicherer Häfen“.

3. Die Erklärung Dresdens zum Sicheren Hafen schließt insbesondere folgendes ein:
a) die Stadt erklärt ihre Solidarität mit allen Menschen auf der Flucht, der zivilen Seenotrettung und den zivilgesellschaftlichen Unterstützer*innen von Geflüchteten.
b) sie positioniert sich öffentlich gegen die Kriminalisierung der Seenotrettung auf dem Mittelmeer.
c) sucht aktiv Möglichkeiten Private Seenotrettung ideell, politisch und finanziell zu unterstützen.

4. Die Landeshauptstadt Dresden setzt sich auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene aktiv für die Umsetzung folgender Punkte ein:
a) Unterstützung von kommunalen Initiativen die die die Regierung des Freistaates Sachsen und die Bundesregierung auffordern, im Rahmen des Resettlements gem. § 23 Absatz 4 AufenthG und anderen Programmen der legalen Aufnahme von Flüchtenden dauerhaft und verlässlich erheblich höhere Aufnahmequoten als bisher zu vereinbaren.
b) Ermöglichung der kurzfristigen Aufnahme von Menschen aus den Lagern an den europäischen Außengrenzen, insbesondere von den griechischen Inseln – entweder über Beteiligung an einer Bundesaufnahme durch Überquote oder im Falle der weiteren Blockade der Bundesregierung durch eine eigene
Landesaufnahmeanordnung entsprechend Bundesratsinitiative zur Änderung von § 23 Absatz 1 AufenthG.
c) Unterstützung von Initiativen zur Schaffung sicherer Fluchtwege und die Einführung staatlich organisierter Seenotrettungsmissionen.
d) Schaffen von sicheren Bleibeperspektiven für Schutzsuchende: Das Land sollte seine humanitären Spielräume nutzen, um Bleibe- und Teilhabeperspektiven für die Menschen zu schaffen und zu sichern, die in Sachsen leben und hier längst ihren Lebensmittelpunkt gefunden haben.

Beratungsfolge

Ältestenrat
28.09.2020
nicht öffentlich
beratend

Dienstberatung des Oberbürgermeisters
06.10.2020
nicht öffentlich
beratend

Integrations- und Ausländerbeirat
25.11.2020
öffentlich
beratend

Ausschuss für Soziales und Wohnen
03.11.2020
nicht öffentlich
beratend

Stadtrat
26.11.2020
öffentlich
beschließend

Begründung:

im Jahr 2020 sind nach Angaben des UNHCRs offiziell bereits 495 Menschen mit Stand vom 12.09.2020 bei der Überquerung des Mittelmeeres gestorben bzw. verschwunden (1). Die Dunkelziffer ist laut Nichtregierungsorganisation (NGOs), welche im zentralen Mittelmeer Menschenrechtsverletzungen beobachten und dokumentieren, weitaus höher (2). Zahlreiche Dokumentationen der NGO Alarm Phone legen offen, dass der für die Rettung
zuständige Staat Malta die Rettung von Menschen in Seenot hinauszögert oder teilweise komplett verwehrt. Zuletzt wurde einem Handelsschiff, welches sich in der Nähe eines sich in Seenot befindenden Bootes aufhielt, von dem maltesischen Militär befohlen, die Menschen nicht zu retten (3).

Diese Praktiken verstoßen nicht nur gegen internationales Seerecht (4), Menschenrechtsabkommen (5) und Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention (6) sondern sind ganz klare Tötungsdelikte durch unterlassene Hilfeleistung. Parallel dazu fängt die libysche Küstenwache weiterhin Menschen auf der Flucht über das Mittelmeer ab, um sie in die Hölle Libyens zurückzubringen, wo ihnen wie hinreichend bekannt und dokumentiert ist, Folter, Sklaverei und andere Menschenrechtsverbrechen bevorstehen. Alles unter den Augen des Friedensnobelpreisträgers EU und zum Teil sogar mit dessen Unterstützung.

Diese nur in Ansätzen skizzierte Situation beobachten wir auf den Fluchtrouten des Mittelmeerraumes schon seit mehreren Jahren ohne dass Besserung in Sicht ist. Dazu kommt die seit Jahren untragbare Situation auf den griechischen Inseln, wo Schutzsuchende über Monate teilweise sogar Jahre, festgehalten und gezwungen werden, unter menschenunwürdigsten Bedingungen zu leben. Die offizielle Kapazität der Erstaufnahmelager der ägäischen Inseln liegt bei 9209 Menschen. Im August 2020 war Diese zu 199.5% überstiegen (7). Allein auf der Insel Lesbos, welche das größte der Camps auf den griechischen Inseln beherbergte, lebten bis zum Niederbrand am vergangenem Mittwoch 14.802 Menschen. Größtenteils in Zelten in einem Olivenhain neben dem
offiziellen Campgelände. Menschenunwürdig ohne jegliche Zukunftsperspektive, verzweifelt, mehrfach traumatisiert und von Europa ausgesperrt. Ohne ausreichend Zugang zu medizinischer Versorgung, hygienischen Sanitäreinrichtungen, psychologischer Hilfe und Bildung.

Um die seit Jahren anhaltenden Missstände in der Asylpolitik an den südlichen europäischen Außengrenzen nicht widerspruchslos hinzunehmen und der
menschenverachtenden Abschottungspolitik etwas entgegenzusetzen, hat sich 2018 das überregionale Bündnis der Seebrücke gegründet.
Es engagiert sich ehrenamtlich und öffentlichkeitswirksam in zahlreichen deutschen und nicht-deutschen Städten für eine faire und menschenwürdige Asylpolitik. Aus diesem Engagement heraus entstand auch die Idee der „Sicheren Häfen“. 174 Städte und Kommunen (8) sowie das Bundesland Thüringen sind bereits zu Sicheren Häfen geworden und solidarisieren sich somit mit Menschen auf der Flucht. Darüber hinaus verpflichteten sie sich in unterschiedlichem Maße Aufnahmestrukturen zu schaffen, vorhandene Kapazitäten zu nutzen und einzusetzen, damit mehr Geflüchtete ein Zuhause finden können.

Das alles als ein Zeichen der internationalen Solidarität und der Menschlichkeit. Wo der Bund die Aufnahme weiterer Menschen in Not blockiert und Europa weiter wegschaut, gehen diese Städte und Kommunen voran und signalisieren, dass sie Platz haben und flüchtenden Menschen eine neue Heimat geben wollen. Thüringen und Berlin stießen vor wenigen Tagen in Anbetracht der aktuellen Eskalation auf der griechischen Insel Lesbos erneut die im Oktober 2019 abgelehnte Bundesratinitiative an, das Gesetz zur Aufnahme Schutzsuchender geregelt in §23 Abs. 1 AufenthG, zu verändern. Vorgesehen ist, das
bisherige „Einvernehmen“ in „Benehmen“ zu verändern, wodurch Städte, Kommunen und Länder bei der Aufnahme von Geflüchteten nicht mehr auf die Entscheidung des Bundesinnenministerium angewiesen sind, sondern lediglich eine Gelegenheit zur Stellungnahme geben können (9).

Betrachtet man die Karte der Sicheren Häfen, so wird schnell deutlich, dass es hier in Sachsen sehr spärlich zugeht. Mit Leipzig hat sich bisher nur eine einzige Stadt solidarisiert. Der Versuch, Dresden zu einem Sicheren Hafen zu machen, scheiterte vor zwei Jahren im Stadtrat knapp. In der Hoffnung, dass angesichts der überaus schwerwiegenden humanitären Situation auf Lesbos, wo sich besonders schutzbedürftiger Gruppen (insbesondere Kinder, Frauen, physisch und psychisch Beeinträchtigte und alte Menschen) in Not befinden, einige Entscheidungsträger*innen mehr Menschlichkeit zeigen
wollen, möchten wir, die Seebrücke Dresden, erneut den Antrag stellen Dresden zu einem Sicheren Hafen werden zu lassen.

Die große Anzahl von Initiativen, die sich in Dresden auf unterschiedlichen Ebenen meist ehrenamtlich dafür einsetzen, gegen Rassismus und rechte Hetze zu kämpfen und sich für ein solidarisches mitmenschliches Klima in Dresden stark machen, fliehende Menschen willkommen heißen und unterstützen, zeigt klar, dass ein sehr großer Teil der Dresdner Zivilgesellschaft sich solidarisch mit Menschen auf der Flucht erklärt und unterstützt wo es nur geht.

Auch die Liga der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in Sachsen (die Arbeiterwohlfahrt, die Caritas, die Diakonie, das Deutsche Rote Kreuz und der Paritätische Wohlfahrtsverband Sachsen), also die Träger, deren Mitarbeiter*innen die Ankommenden etwa in Erstaufnahmeeinrichtungen, in Betreuungseinrichtungen für unbegleitete Minderjährige und in Beratungsstellen für Asylsuchende unterstützen, beraten und begleiten, sprechen sich wie folgt ganz klar für die Aufnahme von mehr Menschen aus und bekunden die vorhanden Kapazitäten:

„Der Freistaat Sachsen hat auch mit Unterstützung der Träger der freien Wohlfahrtspflege in den vergangenen Jahren eine funktionierende Infrastruktur zur Unterbringung und Betreuung geflüchteter Menschen aufgebaut. Die Träger haben viele Erfahrungen mit der Aufnahme und Begleitung minderjähriger Geflüchteter gemacht. Diese Kapazitäten und Expertisen müssen nun jenen Menschen zur Verfügung gestellt werden, die sie aktuell am
dringendsten benötigen.“ (10)

Durch den Brand des Camp Moria hat die Not der Menschen ein katastrophales Ausmaß angenommen. Über Nacht wurden knapp 15.000 Menschen obdachlos und müssen nun ohne jegliche Versorgung leben. Die Bilder und Berichterstattungen der letzten Tage von Lesbos werden Ihnen sicherlich hinreichend bekannt sein. Die Insel Lesbos muss evakuiert werden, dringend.

Der vorliegende Antrag ist ein Zeichen für mehr Menschlichkeit und Zusammenhalt und gibt Dresden die Chance, Teil einer Bewegung zu werden, die genug vom Wegschauen hat und sich für eine faire Chance für Menschen auf der Flucht einsetzt.

________________________

(1) http://data2.unhcr.org/en/dataviz/95?sv=0&geo=0
(2) Die Seenotrettungsinitiative Sea-Watch überwacht mit ihren beiden Suchflugzeugen Seabird und Moonbird den Mittelmeerraum, unterstützt bei der Koordination von Rettungseinsätzen und dokumentiert Menschenrechtsverletzungen wie etwa die Nichthilfe bei der Rettung von in Seenot geratene Geflüchtetenboote (Quelle: https://sea-watch.org/en/project/moonbird-seabird/). Des Weiteren dokumentiert und empfängt die NGO „Alarm Phone“ Notrufe die von Booten in Seenot abgesetzt werden und leitet diese an die zuständige Rettungsleitstelle weiter. Durch Notrufe die immer wieder abgesetzt werden ohne das Hilfe kommt, kann die Häufigkeit
der Fälle von Nichthilfe genauestens dokumentiert werden. Teilweise erleben die Unterstüt-zer*innen das Ertrinken der Menschen am Telefon mit (Quelle: https://alarmphone.org/en/2020/07/06/also-in-the-central-mediterranean-sea-black-lives-matter/? post_type_release_type=post).
(3) https://twitter.com/openarms_found/status/1304446785750999041?s=20&fbclid=IwAR2Kv-AJyy5_lC3IqDjr8JPLfVqiRi-RzEvPqtD0Zz859xkps8uCngX8fNE
(4) https://sosmediterranee.ch/de/mehr-informationen/rechtliche-grundlagen-unserer-taetigkeit/
(5) https://www.humanrights.ch/de/ipf/grundlagen/rechtsquellen-themen/non-refoulement-prinzip
(6) https://www.unhcr.org/dach/de/services/faq/faq-genfer-fluechtlingskonvention
(7) https://twitter.com/ABoatReport/status/1291978742680686592/photo/2
(8) https://seebruecke.org/sichere-haefen/sichere-haefen/
(9) https://www.bundesrat.de/pk-top.html?id=20-993-11

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