Der Martin Luther Platz in der Dresdner Neustadt

Ermittlung der Zulässigkeit und Notwendigkeit von Milieuschutzsatzungen in Dresden

ANTRAG – Interfraktionell: SPD-Fraktion, Fraktion DISSIDENTEN

Aktueller Stand im Ratsinfosystem

Beschlussvorschlag:

  1. Der Stadtrat beschließt die Aufstellung von Satzungen zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aus besonderen städtebaulichen Gründen gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB für die Gebiete

a) Pieschen / Hecht (Stadtteile 14 Leipziger Vorstadt, 21 Pieschen Süd, 25 Pieschen Nord), b) Neustadt Ost (Stadtteile 12 Radeberger Vorstadt westlich der Waldschlößchenstraße, 15 Albertstadt südlich der Stauffenbergallee) und c) Löbtau Nord / Friedrichstadt / Altstadt West (Stadtteile 04 Wilsdruffer Vorstadt / Seevorstadt West, 05 Friedrichstadt, 92 Löbtau Nord).

2. Der Oberbürgermeister wird beauftragt, zur Ermittlung des jeweiligen Aufwertungs- und Verdrängungspotentials, des Aufwertungs- und Verdrängungsdrucks, einer Verdrängung der Wohnbevölkerung sowie den so verursachten städtebaulichen Nachteilen für die genannten Gebiete

a) genaue Daten aus den vorhandenen Erhebungen in den 124 Sozialbezirken, den 401 statistischen Bezirken und den Baublöcken zusammenzutragen und,

b) falls erforderlich, weitere geeignete sozialwissenschaftliche Erhebungen zu veranlassen, die ermitteln das

aa) Aufwertungspotential

          1. Anzahl und Anteil unsanierter Wohnungen einschließlich Leerstands,
          2. Anzahl und Anteil der Wohnungen, die bis zum Jahr 2000 saniert wurden,
          3. Angebotsmiete für Wohnungen mit Baujahr bis zum Jahr 2005
          4. Angebotsmiete für Wohnungen ab dem Baujahr 2010,
          5. aktueller durchschnittlicher Kaufpreis für sanierte Eigentumswohnungen,

bb) Verdrängungspotential

6. Anzahl und Anteil von Empfänger:innen von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II und XII, von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sowie von Wohngeld, 7. Anzahl und Anteil der Haushalte aus alleinerziehender Mutter oder Vater mit mindestens einem Kind, 8. Anzahl und Anteil der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren, 9. Anzahl und Anteil der Bewohner:innen über 65 Jahren, 10. Anzahl und Anteil der Einwohner:innen, die in den letzten 10 Jahren in das Bundesgebiet eingereist sind,

cc) Aufwertungsdruck

11. Anzahl und Anteil der Genehmigungen nach der Sächsischen Bauordnung für Wohnungen in den letzten 5 Jahren, die bis zum Jahr 1990 errichtet wurden, 12. Anzahl und Anteil der Baufertigstellungen in Wohnungen in den letzten 3 Jahren, die bis zum Jahr 2000 errichtet wurden, 13. Anzahl und Anteil der Abgeschlossenheitsbescheinigungen für Wohnungen in den letzten 5 Jahren, 14. Anzahl und Anteil der Verkäufe sanierter Eigentumswohnungen und Gebäudeverkäufe, 15. Veränderung der Angebotsmieten seit 2015 im Vergleich zur Gesamtstadt, 16. Veränderung der Angebotsmieten für Bestandswohnungen, die bis 2000 errichtet wurden, 17. Veränderung der Kaufpreise für Eigentumswohnungen im Bestand, die bis 2010 errichtet wurden,

dd) Verdrängungsdruck

18. Veränderung der Anzahl und Anteil der Haushalte mit Bezug von Grundsicherungsleistungen, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, ALG I Empfänger sowie Bezieher von Wohngeld seit 2010, 19. Veränderung der Anzahl und Anteil der Haushalte mit mehr als drei Kindern seit 2010, 20. Angaben zur Erhöhung der Nettokaltmiete nach Modernisierung im Vergleich zur Durchschnittsmiete für die letzten Jahren, 21. Anzahl der Umwidmungen von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen, 22. Feststellung städtebaulicher Allgemeinwohlgründe, die den Beschluss einer Erhaltungssatzung rechtfertigen, 23. Definition eines zeitgemäßen Dresdner Ausstattungsstandards für Mietwohnungen ohne Luxusmodernisierungen,

c) diese Daten und Erkenntnisse im Hinblick auf die Zulässigkeit und Erforderlichkeit von Erhaltungssatzungen auszuwerten,

  1. die Ergebnisse dem Stadtrat und den betroffenen Stadtbezirksbeiräten vorzulegen, die betroffenen Stadtbezirksbeiräte anzuhören und gegebenenfalls dem Stadtrat entsprechende Satzungen zum Beschluss vorzulegen.
 

Beratungsfolge

Plandatum    
Ältestenrat 21.06.2021 nicht öffentlich beratend
Dienstberatung des Oberbürgermeisters 29.06.2021 nicht öffentlich beratend
Ausschuss für Stadtentwicklung, Bau, Verkehr und Liegenschaften 07.07.2021 nicht öffentlich 1. Lesung         (federführend)
Stadtbezirksbeirat Cotta 15.07.2021 öffentlich beratend
Wohnbeirat 19.07.2021 öffentlich beratend
Stadtbezirksbeirat Neustadt 19.07.2021 öffentlich beratend
Stadtbezirksbeirat Altstadt 21.07.2021 öffentlich beratend
Stadtbezirksbeirat Pieschen 07.09.2021 öffentlich beratend
Ausschuss für Soziales und Wohnen 07.09.2021 nicht öffentlich beratend             (federführend)
Stadtrat 23.09.2021 öffentlich beschließend

Begründung:

  1. Anlass
In den letzten Jahren sind die Mieten für neu errichtete und modernisierte Wohnungen erheblich gestiegen. In einigen Gebieten zeigen sich bereits deutliche unerwünschte Verdrängungsprozesse und Gentrifizierungswirkungen. Die Landeshauptstadt hat daher bereits 2019 in ihrem Wohnkonzept versprochen zu prüfen, inwieweit der Einsatz von Milieuschutzsatzungen „zum Erhalt der sozialen Mischung erforderlich und sinnvoll ist“ (S.41). Bisher hat die Stadtverwaltung aber keine erkennbare Initiative ergriffen.
  1. Ziel
Der Antrag zielt daher auf einen Beschluss des Stadtrates, in den genannten Gebieten Erhaltungssatzungen aufzustellen. Für den Erarbeitungsprozess bis zum eigentlichen Beschluss einer Erhaltungssatzung durch den Stadtrat definiert er im Einklang mit dem bundesweit anerkannten und praktizierten Standards Kriterien, mit denen die rechtliche Zulässigkeit und fachliche Erforderlichkeit von Milieuschutzsatzungen sowie ihrer genauen Eingriffsregeln ermittelt werden sollen.
  1. Gebietsauswahl
Nach den bisher erkennbaren Daten erscheinen Verdrängungsprozesse insbesondere in den aufgeführten Gebieten stattzufinden. Die Stadtverwaltung soll ermitteln, in welchen Sozialbezirken und Baublöcken genau diese innerhalb dieser Stadtteile oder auch angrenzend stattfinden, die den Erlass einer Erhaltungssatzung rechtfertigen. Ergebnis soll eine rechtssichere und genaue Bestimmung des Gebiets einer Erhaltungssatzung sein.
  1. Städtebauliche Wirkung
Das Instrument der Milieuschutzsatzung nach Baugesetzbuch schützt Mieter nicht unmittelbar, sondern lediglich mittelbar, indem die bestehende Zusammensetzung der Wohnbevölkerung im Interesse des Erhalts der von der Stadt vorgenommenen städtebaulichen Investitionen erhalten werden soll. Denn würde die Wohnbevölkerung durch steigende Mieten verdrängt, würden auch diese Investitionen in die öffentliche Infrastruktur nutzlos werden oder teure Neuinvestitionen an anderer Stelle auslösen, um für die verdrängte Wohnbevölkerung neue bezahlbare Wohnungen und öffentliche Infrastruktur herzustellen. Es geht also um die Erhaltung eines städtebaulich funktionierenden Gebietscharakters. Nur insoweit schützen Milieuschutzsatzungen die Wohnbevölkerung in einem Gebiet. Milieuschutzsatzungen sind daher nur ein notwendiges, aber kein hinreichendes Instrument einer sozialen und stadtverträglichen Wohnungs- und Mieter:innenschutzpolitik.
  1. Genehmigungspflichtigkeit und Vorkaufsrecht
Mit Beschluss einer Erhaltungssatzung können der Abbruch, Änderungen, Nutzungsänderungen oder der Umbau von Gebäuden genehmigungspflichtig gemacht werden (§ 172 Abs. 4 Satz 1 BauGB). Nutzungsänderungen sind etwa die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen, Praxen, Kanzleien, Gewerbe oder Ferienwohnungen. Änderungen sind etwa Modernisierungen oder Vergrößerungen. Eine nachholende Instandsetzung oder Sanierung von Leerstand auf das Niveau eines „zeitgemäßen Ausstattungsstandards“ ist nach der Regelung des Baugesetzbuches zwingend zu genehmigen.   Im übrigen hat die Stadt im Geltungsbereich einer Milieuschutzsatzung ein Vorkaufsrecht (§ 24 Abs. 1 Nr. 4 BauGB). Übt die Stadt das Vorkaufsrecht aus, kommt der Verkauf zwischen dem Eigentümer und der Stadt zustande. Die Stadt kann gegen Spekulation vorgehen, indem sie den Kaufpreis auf den Verkehrswert herabsetzt. Allerdings darf der Verkäufer dann vom Verkauf zurücktreten, bleibt also Eigentümer. In der Praxis üben die Städte das Vorkaufsrecht in der Regel nicht aus, sondern schließen Abwendungsvereinbarungen mit dem Eigentümer mit dem Ziel, mietenerhöhende Luxussanierungen auszuschließen.
  1. Ansprüche auf Genehmigung
Da der Eigentümer in der Regel mit seinem Eigentum verfahren darf, wie er will, „darf die Genehmigung nur versagt werden, wenn die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aus besonderen städtebaulichen Gründen erhalten werden soll“ (§ 174 Abs. 4 Satz 1 BauGB). § 172 Abs. 4 Satz 3 BauGB nennt Sachverhalte, in denen das Eigentumsrecht den sozialpolitischen Interessen der Allgemeinheit vorgeht und deshalb eine Genehmigungspflicht besteht. a) So kennt das BauGB den Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Zumutbarkeit für den Eigentümer: Eine Genehmigung ist „zu erteilen, wenn auch unter Berücksichtigung des Allgemeinwohls die Erhaltung der baulichen Anlage oder ein Absehen von der Begründung von Wohnungseigentum oder Teileigentum wirtschaftlich nicht mehr zumutbar ist.“ Die wirtschaftliche Zumutbarkeit ist objektbezogen ohne Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Eigentümers, aber unter Einschluss steuerlicher Vorteile zu prüfen. b) Die „Herstellung des zeitgemäßen Ausstattungstandards einer durchschnittlichen Wohnung unter Berücksichtigung der bauordnungsrechtlichen Mindestanforderungen“ ist immer zu genehmigen (§ 172 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 BauGB). Dabei geht es etwa um den Brandschutz von Wänden und Decken, um Rettungswege oder um Aufzüge, Leitungs- und Lüftungsanlagen. Ebenso besteht ein Genehmigungsanspruch für die „Anpassung an die baulichen und anlagentechnischen Mindestanforderungen der Energieeinsparverordnung“ (§ 172 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BauGB). In der Praxis hängt die Eingriffstiefe einer Milieuschutzsatzung also wesentlich von der Definition eines „zeitgemäßen Ausstattungsstandards“ für Dresden ab. Die Stadt Leipzig hat dies für ihr Gebiet bereits getan und sein Stadtrat 2020 Milieuschutzsatzungen beschlossen. Der Antrag beauftragt daher, die Stadtverwaltung, einen Ausstattungsstandard für Dresden zu erarbeiten.]]>

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