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Kommunale Daseinsvorsorge und ökologische und soziale Standards nicht durch Freihandelsabkommen einschränken – Internationale Freihandelsabkommen TTIP, CETA und internationales Dienstleistungsabkommen TISA transparent verhandeln

ANTRAG – Interfraktionell:Stempel_angenommen
Fraktion DIE LINKE, Bündnis 90/DIE GRÜNEN, SPD-Fraktion

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Beschlussvorschlag:

Der Stadtrat der Landeshauptstadt Dresden bekennt sich zu folgendem Standpunkt:

  1. Die Bundesregierung, die EU-Kommission und das Europäische Parlament sind in der Verantwortung, die Interessen der Kommunen im Zuge der Verhandlungen um die Freihandelsabkommen TTIP, CETA sowie des internationalen Dienstleistungsabkommens TISA im Sinne der gemeinsamen Stellungnahme der kommunalen Spitzenverbände und des Verbandes kommunaler Unternehmen e.V. von Oktober 2014 (siehe Anlage) zu wahren.
  2. Die Investitionsschutzvorschriften in den genannten Abkommen sind nicht erforderlich und sollten nicht eingeführt werden. In jedem Fall sind Investor-Staat-Schiedsverfahren und unklare Definitionen von Rechtsbegriffen, wie „Faire und Gerechte Behandlung“ oder „Indirekte Enteignung“ abzulehnen.
  3. Derzeit existierende wie auch künftige staatliche regulatorische Handlungsspielräume insbesondere bei der Festlegung von Schutzstandards und in der Daseinsvorsorge müssen gewahrt bleiben – vor allem vor dem Hintergrund des in diesem Zusammenhang in den Verträgen niedergelegten Grundsatz der Achtung der regionalen und lokalen Selbstverwaltung.
  4. Bei einem Abkommen von einer solch globalen Tragweite bestehen neben den Chancen auch Risiken. Die demokratische Beteiligung sowie die Kompetenzen der Vertreterinnen und Vertreter der kommunalen Gebietskörperschaften dürfen keinesfalls eingeschränkt oder gar ausgehebelt werden.
  5. Der Beschluss des Rates der Europäischen Union, das Verhandlungsmandat zur TTIP zu veröffentlichen, ist zu begrüßen. Angesichts der Tragweite des Abkommens zwischen der EU und den USA muss die demokratische Kontrolle der Verhandlungen jederzeit garantiert sein. Deshalb müssen die Europäische Kommission und die Bundesregierung eine größtmöglich transparente Verhandlungsführung gewährleisten. Konkret bedeutet das, dass alle wesentlichen Dokumente veröffentlicht und alle Leitlinien der Verhandlungen für die lokalen Gebietskörperschaften, für alle gesellschaftlich relevanten Gruppen sowie interessierten Bürgerinnen und Bürger ohne Zugangshürden rechtzeitig und nachvollziehbar präsentiert werden.
  6. Alle wichtigen Detailfragen des Abkommens müssen ausverhandelt werden; es kann keine nachträgliche Übertragung von Regulierungsfragen – unter Umgehung des demokratischen Gesetzgebungsprozesses – auf speziell eingerichtete Expertengremien geben.
  7. Die Organisationshoheit der kommunalen und lokalen Gebietskörperschaften als eines der Kerngebiete des kommunalen Selbstverwaltungsrechtes müssen sichergestellt sein, die Rekommunalisierung nach den Gegebenheiten vor Ort und auf Basis des lokalen Wählerwillens muss uneingeschränkt möglich bleiben. Die Kommission hat kein Verhandlungsmandat für Dienstleistungen von allgemeinem nichtwirtschaftlichem Interesse.
  8. Die Gesetzgebung auf regionaler und lokaler Ebene, die die im öffentlich-rechtlichen Eigentum stehenden Sparkassen oder Landesbanken insgesamt reguliert, kann nicht als ein Marktzugangshindernis betrachtet werden, gegen das von interessierten Investor_innen lediglich zum Zwecke des Markteintritts geklagt werden kann.
  9. Die Standard setzenden Aspekte des europäischen Vergaberechts , wie sie sich insbesondere in der regionalen und lokalen Umsetzung zeigen, beispielsweise bei der Beachtung der Einhaltung von arbeitsrechtlichen, sozialen und tarifvertraglichen Standards, der umweltfreundlichen Vergabe oder der Berücksichtigung von kleineren und mittleren Unternehmen (KMU), dürfen nicht in Frage gestellt werden. Sie stellen sicher, dass für den Zuschlag an die Bestbietenden neben dem Preis auch andere Kriterien wie soziale und nachhaltige Aspekte entsprechend berücksichtigt werden können.

Die Oberbürgermeisterin der Landeshauptstadt Dresden wird beauftragt, diese Haltung

  1. den Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern im Europäischen Parlament, Europäischen Kommission, im Bund und im Freistaat Sachsen bekannt zu geben und sie aufzufordern, dem Abkommen in der derzeit bekannten Form nicht zuzustimmen,
  2. der Bundeskanzlerin und dem Bundeswirtschaftsministerium gegenüber zum Ausdruck zu bringen,
  3. in der öffentlichen Debatte zu vertreten,
  4. sich gegenüber der EU-Kommission nachdrücklich für den Schutz der kommunalen Daseinsvorsorge und den Erhalt von Sozial- und Umweltstandards in den geplanten Handelsabkommen TTIP, TISA und CETA einzusetzen.

 

Begründung:

Bei dem aktuell im Geheimen verhandelten Freihandelsabkommen TTIP, TISA und CETA handelt es sich um einen Vertrag, der die Handlungsmöglichkeiten der demokratisch gewählten Vertreterinnen und Vertreter der Kommune massiv einschränkt und einen unzulässigen Eingriff in die kommunale Gestaltungshoheit, die kommunale Selbstverwaltung, den Schutz und Fortbestand der kommunalen Daseinsvorsorge und der kommunalen Kultur- und Bildungspolitik darstellt.

In der Stadtratssitzung vom 20. November 2014 wurde auf Anfrage vom Finanzbürgermeister der Stadt Dresden, Herrn Vorjohann, bekräftigt, dass „die Stadt die Position des Städtetages [teilt], [welche] besagt, dass die Organisationshoheit der kommunalen Parlamente und Räte oder die kommunale Selbstverwaltung nicht eingeschränkt werden darf“.

Dieser Forderung schließt sich der Stadtrat der Landeshauptstadt Dresden an.

Seit Juli 2013 verhandeln die Europäische Union (EU) und die Vereinigten Staaten von Amerika (USA) über ein Freihandelsabkommen, das den Waren- und den Dienstleistungsverkehr umfassen soll (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP). Der Abschluss der Verhandlungen wird für Ende 2015 angestrebt. Parallel verhandelt die EU seit Juni 2013 innerhalb einer Gruppe von Staaten außerhalb der Welthandelsorganisation (Really Good Friends of Service, RGFS-Staaten) über ein multilaterales Handelsabkommen für Dienstleistungen (Trade in Services Agreement, TiSA). Beendet sind dagegen die bilateralen Verhandlungen zwischen der EU und Kanada über ein Freihandelsabkommen (Comprehensive Economic and Trade Agreement, CETA). Die Abschlussentscheidung zum CETA steht noch aus. TTIP, TiSA und CETA unterscheiden sich im Umfang und Detail, die Verhandlungen sind jedoch als zusammenhängender Prozess zu begreifen. TTIP, CETA und TiSA sollen durch den Abbau von Zöllen sowie nicht-tarifären Handelshemmnissen wichtige Wachstumsimpulse setzen.

Eine qualitative und breite Versorgung sowie einen kostengünstigen Zugang kann der Markt alleine nicht gewährleisten. Die Nähe zum Menschen erfordert staatliches Handeln, das Vertrauen gewährleistet und die Interessen der Schwachen wahrt. Gesetzliche Vorgaben und Regulierungen, etwa hinsichtlich der Qualität der Leistung, dürfen nicht als Handelshemmnisse interpretiert werden.

In den EU-Verträgen (Primärrecht) sowie in den Verordnungen, Richtlinien und Beschlüssen (Sekundärrecht) finden die Bedeutung und die Besonderheit der Daseinsvorsorge und der sozialen Dienstleistungen Beachtung. Art. 14 AEUV, das Protokoll Nr. 26 sowie Art. 106 (2) AEUV normieren den Wert der Daseinsvorsorge und der sozialen Dienstleistungen. Auch Art. 36 der Grundrechte- Charta schreibt fest, dass die Union den Zugang zu den Dienstleistungen der Daseinsvorsorge achtet und anerkennt. Die Daseinsvorsorge und die sozialen Dienstleistungen sind als zentrales Element eines europäischen Sozialmodells zu begreifen.

Sie stehen im direkten Zusammenhang mit den Unionszielen der sozialen Marktwirtschaft und des sozialen und territorialen Zusammenhalts in Art. 3 (3) EUV. Dementsprechend haben die europäische Dienstleistungsrichtlinie sowie die jüngsten Reformen im EU-Beihilfe- und EU-Vergaberecht in den Jahren 2012 und 2014 die Besonderheiten der Daseinsvorsorge und der sozialen Dienstleistungen im Sekundärrecht berücksichtigt. Als Völkerrecht gehen Freihandelsabkommen dem Sekundärrecht gemäß Art. 216 (2) AEUV jedoch vor. Sie bergen damit die Gefahr, den bisherigen Stand der Rechtssetzung wieder in Frage zu stellen.

Werden die genannten Freihandelsabkommen in der derzeit bekannten Form eingeführt, bedeutet das einen massiven Eingriff in die kommunale Gestaltungshoheit und die kommunale Selbstverwaltung. Dabei stellen Ausschreibungen der öffentlichen Daseinsvorsorge, der Investorenschutz, der Liberalisierungsdruck und die so genannte Rachet-Klausel (Stillstandsklausel) eine Beschneidung der kommunalen Selbstverwaltung und Gestaltungshoheit dar.

Die Transparenz der bisherigen Verhandlungen ist unzureichend, insbesondere die Kommunen sind, trotz der Auswirkungen, die die Handelsabkommen auf die Kommunen haben, nicht ausreichend an den Verhandlungen beteiligt.

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