Porträt Dana Frohwieser

Gedenkkultur in Dresden: Wir stellen klar!

Basierend auf der Berichterstattung in den DNN der vergangenen Tage zu der Frage um eine neue Erinnerungs- und Gedenkkultur in Dresden reagiert unsere Fraktionsvorsitzende Dana Frohwieser in einem persönlichen Schreiben auf den Kommentar des Chefredakteurs Dirk Birgerls „Welcome back, Nazis!“ wie folgt:

Ihr Kommentar „Welcome back, Nazis!“ in der Ausgabe vom 31.08.2019 – Antwort

Sehr geehrter Herr Birgel,

in meiner Heimatstadt Dresden haben 1933 so viele Menschen braun gewählt wie in keineranderen deutschen Großstadt. In meiner Heimatstadt Dresden haben gestern 20% eine Partei gewählt, die einen starken rechtsextremen Flügel hat. Während zeitgleich der sozialdemokratische Finanzbürgermeister, Dr. Peter Lames, unsere Stadt beim Gedenken an den deutschen Überfall auf Polen in Danzig vertrat. Der gestrige Tag war nicht nur bedeutend ob der Landtagswahlen in Sachsen. Er war bedeutend als 80. Jahrestag der Bombardierung eines Krankenhauses und einer ganzen Stadt durch deutsche Kampfflugzeuge. Die Bombardierung des wehrlosen und militärisch unbedeutenden polnischen Wielun.

Die Menschen haben diese Partei trotz ihres starken rechtsextremen Flügels gewählt. Nicht weil sie Nazis sind, sondern weil sie kein Vertrauen in unser demokratisches politisches System haben. Ein demokratisches politisches System, zu dem untrennbar die Medien gehören. Von den Staatsgewalten unabhängige Medien, die die Menschen informieren, zur Meinungsbildung beitragen und Partizipation ermöglichen. Sich mit der Frage des sozialen Zusammenhalts in unserer Stadt zu beschäftigen, wie meine SPD-Fraktion es in ihrer Klausur im August getan hat, scheint daher ganz richtig.

Sie haben mit Ihrem Kommentar vom 31.08.2019 in der DNN Ihren Weg gewählt, zu dieser Meinungsbildung beizutragen. Das steht Ihnen uneingeschränkt zu, das akzeptiere ich. Er ist polemisch, er unterstellt Falsches, er diskreditiert persönlich. Ich bin gespannt auf ein persönliches Gespräch, in welchem Sie mir Ihre Gründe darlegen wollen, warum Sie diesen Weg wählten.

Erlauben Sie mir trotzdem, Ihnen in der Sache zu antworten. Als Chefredakteur der Dresdner Neuesten Nachrichten haben Sie ganz leichten Zugang zur Pressemitteilung der SPD-Fraktion Dresden, die Ausgangspunkt des Interviews Ihres Mitarbeiters, Herrn Baumann-Hartwig, war. Darin haben wir vorgestellt, welche Themen unserer Fraktion in den kommenden fünf Jahren im Stadtrat wichtig sind. Wir wollen eine starke und gerechte Stadt, in der sozialer Zusammenhalt im Mittelpunkt steht. Neben den Themen Bildung, Wohnen, Mobilität und soziale Infrastruktur glauben wir hierbei an drei Vorhaben, um den sozialen Zusammenhalt in Dresden wieder zu stärken:

1. Stärkung der kulturellen Bildung in Dresden, die schon den Kleinsten die kulturellen Wurzeln unserer Stadt vermittelt, die in Demokratie, Freiheit, Frieden, Zusammenhalt und Vielfalt erblühen.
2. Bürger- und Stadtteilorientierung in der kommunalen Arbeit, die die Menschen in den Stadtteilen dabei unterstützt, sich wieder mehr umeinander zu kümmern.
3. Eine kommunale Erinnerungs- und Gedenkkultur, in deren Zentrum Frieden, Einheit und Demokratie stehen und die positive wie negative Meilensteine der Dresdner Stadtgeschichte stärker in den Vordergrund rückt. Beispielhaft genannt hatten wir den 9. Mai 1849 wie den 9. Mai 1950, den 30. Januar 1933, den 27. Januar 1945, den 17. Juni 1953, den 08. Oktober 1989.

Überhaupt keine Erwähnung fand hier der 13. Februar 1945, der tief in der „Dresdner Seele“verankert ist, von der Sie sprechen. In Dresden scheint es auch immer wichtig zu sein zu betonen, dass man – in meinem Fall vor 42 Jahren – in dieser Stadt geboren ist, als Kind von Dresdner Eltern, seine eigenen Kinder hier geboren hat… um zu rechtfertigen, dass man hier mitreden darf. Mir ist das nicht wichtig. Ich spreche jederzeit gern mit jedem Menschen, der in Dresden lebt, egal wie lange schon. Ich spreche aber auch mit Menschen außerhalb von Dresden über solche Fragen. Sie sind Ausdruck meiner Haltung als Sozialdemokratin.

Das Gedenken an den 13. Februar 1945 war stets ein prägender Bestandteil eines„Dresdner Lebens“. In meiner Kindheit und Jugend war es geprägt von der Ruine der Frauenkirche, „dem Mahnmal gegen den Krieg“. Der anfangs nicht ganz unumstritteneWiederaufbau nach der friedlichen Revolution von 1989 schuf nicht in erster Linie ein touristisches Highlight im historischen Stadtzentrum, sondern ein Zeichen der Versöhnung, ein „europäisches Haus des Friedens“ (aus dem Appell „Ruf aus Dresden“ vom 13. Februar 1990). Zum ersten Mal aber gänzlich selbstentschieden politisch demonstrierend stand ich gemeinsam mit Mitschülerinnen und Mitschülern auf Dresdner Straßen 1990/91 gegen den Zweiten Golfkrieg. Dieser ließ uns als junge Menschen in dieser Stadt gewahr werden, wie zerbrechlich Frieden und Freiheit sind. Und seitdem tat ich dies schon viele unzählige Male gegen Rechtsextremisten und Rassisten in unserer Stadt.

Dieses „europäische Haus des Friedens“ ist bedroht. Nicht die Frauenkirche als Gebäude, sondern das Europa der Demokratie, der Freiheit, der Einigkeit und des Friedens. In welchem ich zu leben das Glück habe und in welchem meine Kinder aufwachsen. Ein Glück, welches aber immer mehr Menschen nicht mehr zu schätzen scheinen. Im Januar diesen Jahres hatte das Allesbach-Institut eine Umfrage veröffentlicht, nach der nur 42 Prozent der Befragten im Osten Deutschlands die in Deutschland gelebte Demokratie als die beste Staatsform betrachten. Am 27. Januar 2019 rief der Rektor der TU Dresden, Prof. Dr. Hans Müller-Steinhagen, beim Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus im ehemaligen Richthof am Münchner Platz 3 verzweifelt aber entschieden aus: „Ja was denn sonst?“. Dieser Ort mitten im Herzen der Dresdner Universität, an welchem bis 1945 über 1.300 Menschen, deutscher, aber auch tschechischer und polnischer Herkunft hingerichtet wurden. Menschen, die sich dem Nationalsozialismus widersetzt, dem Militärdienst verweigert oder beispielsweise geflohene sowjetische Kriegsgefangene versteckt hatten. Der Ort, der bis 1956 Hinrichtungsstätte blieb, nicht nur für Kriegsverbrecher, sondern auch für Opfer einer neuen politischen Strafjustiz.

Ja, was denn sonst? Wir sind Politikerinnen und Politiker in diesem Ehrenamt im Wortsinne als öffentliche Funktion, die legitimiert wurde durch eine demokratische Wahl. Als solche ist es unsere besondere Verantwortung, für eine demokratische Alltagskultur einzustehen, für den Schutz von Minderheiten und der Menschenrechte (wie es die Amadeu Antonio Stiftung u.a. einfordern). Es ist unsere Verantwortung, das Vertrauen in die demokratischen Institutionen und die Wertschätzung von Vielfalt und eines respektvollen solidarischen Miteinanders wieder zu stärken. So formulierte es der Oberbürgermeister im Grußwort zum Lokalen Handlungsprogramm der Landeshauptstadt für ein vielfältiges und weltoffenes Dresden.

Es steht Ihnen selbstverständlich frei, aus unserem Ansinnen nun einmal mehr eine Diskussion über den 13. Februar in dieser Stadt zu machen. Unser Ansinnen aber war und ist, andere Gedenktage stärker ins Blickfeld zu rücken. Tage wie den bevorstehenden 30. Jahrestag des 08. Oktober 1989, an welchem die bis dahin in Dresden in Gewalt zwischen Demonstranten und Polizisten zu eskalieren drohenden Wendeproteste durch ein Gespräch zwischen dem damaligen Oberbürgermeister und der „Gruppe der 20“ einen friedlichen Fortgang fanden. Die Frage Ihres Journalisten nach der Abschaffung des 13. Februars habe ich mit einem klaren Nein beantwortet, die Frage danach, ob Menschen weiterhin Kerzen vor der Frauenkirche aufstellen dürfen mit einem klaren Selbstverständlich. Hier unterscheidet sich individuelle Trauer und Gedenken von der Institutionalisierung eines Tages in einer Stadtgesellschaft.

Aber entschieden widerspreche ich der geradezu naiven Behauptung, mit der Menschenkette am 13. Februar habe „die Zivilgesellschaft die Nazis kleingekriegt“. Das ist nicht nur naiv, das ist gefährlich. Und deshalb wiederhole ich aus dem Interview in Ihrer Zeitung: Es hat das Problem der Rechtsextremen nicht verschwinden lassen, sondern nur verlagert und dagegen müssen wir uns an jedem Tag und an jedem Ort erheben. Dass wir ein Problem mit der Leugnung von nationalsozialistischer Geschichte haben, hat sich nicht verändert. Geändert hat sich, dass es mehr Menschen gibt, die nicht mehr an den Wert der Demokratie und eines freiheitliches Europa glauben.

Und deshalb ist es kein alleiniges Vorrecht der AG 13. Februar, sich mit dieser Erweiterung der Gedenkkultur auseinanderzusetzen. Sie wissen sicherlich, dass die AG 13. Februar wie auch die Menschenkette sozialdemokratische Wurzeln hat und dass in dieser bis heute viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wertschätzend und wertgeschätzt mitgearbeitet haben. Und sie werden dies auch weiterhin tun. Diese Auseinandersetzung um die Erweiterung der Gedenkkultur aber gehört mitten in unsere Stadtgesellschaft. Und deshalb wiederhole ich abschließend noch einmal aus dem Interview vom 28. August 2019 in der DNN: Es gibt viele Vereine und Bildungsträger, die sich dem Thema widmen und an konkreten Formaten arbeiten. Daraus wollen wir schöpfen und da nichts vorgeben, sondern als Kommunalpolitiker/innen daran arbeiten, dass die Stadt die Voraussetzungen für den
Prozess schafft wie kostenlose Räume, die Organisation von Veranstaltungsformaten oder die Förderung von Vereinen. Eine gelebte Erinnerungskultur wird uns nicht gelingen, wenn sich die Debatte darüber nur im politischen Raum abspielt.

Lassen Sie uns darüber gern ins Gespräch kommen, damit die Menschen in unserer Stadt und in unserem Land das Vertrauen und den Glauben an den Wert von Demokratie, von Frieden und von einem freiheitlichen Europa zurückgewinnen. Ziele, für welche am 9. Mai 1849 die Kämpfer auf den Barrikaden des blutig niedergeschlagenen Maiaufstandes in Dresden starben.

Lassen Sie uns ins Gespräch kommen. Lassen Sie uns mit den Dresdnerinnen und Dresdner ins Gespräch kommen, um tiefere Einblicke in „die Dresdner Seele“ zu gewinnen. Denn Dresden hat viele Seelen, um in Ihrem Bild zu bleiben. Und jede dieser Seelen ist uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gleich viel wert.

Dieses Gespräch, verbunden mit der Erwartung, dass Sie meiner Darstellung des Themas einen angemessenen Platz in der DNN einräumen, kann einen positiven Beitrag dazu leisten.

Mit freundlichen Grüßen
Dana Frohwieser

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