Julia Hartl informiert sich eingehend zur Angemessenheit von Heizkosten auf Basis von Fernwärme in Dresden.
Einleitung:
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
gemäß § 22 Absatz 1 SGB II bzw. § 35 Absatz 1 SGB XII werden die Bedarfe für Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Damit ist die Übernahme der angemessenen Heizkosten bei Hilfeempfängern – wie auch die Bestimmung der Angemessenheit der Heizkosten – eine Pflichtaufgabe der Kommune. Aktuell haben schon viele Mieterhaushalte von ihren Vermietern die Betriebs- und Heizkostenabrechnungen für den Abrechnungszeitraum 01.10.2022 bis 31.09.2023 (Vermieter VONOVIA) bzw. für das Kalenderjahr 2023 (andere Vermieter) erhalten, darunter viele Empfänger von Sozialleistungen aus dem Rechtskreis SGB II bzw. SGB XII. In der Landeshauptstadt Dresden beziehen mittlerweile 45 % aller Haushalte Fernwärme (SachsenEnergie-Sprecherin Viola Martin-Mönnich, DNN vom 21.08.2024, Seite 14). Damit ist Fernwärme nicht nur der wichtigste Heiz-Energieträger in Dresden, sondern die Bestimmung der angemessenen Heizkosten ist für eine Vielzahl von Dresdner Bürgern von elementarer Bedeutung. Es ist bekannt, dass die DREWAG/SachsenEnergie seit Beginn der Energiekrise im Jahr 2022 die Fernwärmepreise massiv erhöht hat. Auf ihrer Internetseite veröffentlich die DREWAG eine grafische Übersicht, aus dem erkennbar ist, dass der Arbeitspreis für Fernwärme aktuell etwa 0,16 Euro/kWh beträgt, während er beispielsweise im Juli 2021 noch bei rund 0,07 Euro/kWh lag. (Quelle: https://www.drewag.de/wps/wcm/connect/drewag/cb1c8467-8c5f-4b11-8a7a58459456e167/Preisgleitung-Fernwaerme.pdf?MOD=AJPERES&CVID=p5PirZE). Noch immer bemisst das Jobcenter sowie das Sozialamt Dresden die Heizkosten von Hilfeempfängern auf der Grundlage der Dienstanweisung für die Erbringung der Leistungen für Unterkunft und Heizung vom 22.12.2023. Diese Dienstanweisung hat (ungeprüft) die Kostenobergrenzen für Heizkosten aus dem aktuellen Bundesweiten Heizspiegel 2023 der CO2 gGmbH übernommen. Für Fernwärme basiert dieser Heizspiegel 2023 auf Heizkosten von 0,11 Euro/kWh, was für Dresdner Verhältnisse deutlich zu niedrig – und damit unangemessen ist. Eine uns vorliegende Auswertung von aktuellen Heizkostenabrechnungen zeigt, dass für den Abrechnungszeitraum 01.10.2022 bis 31.09.2023 trotz der Entlastungen aus dem Erdgas-Wärme-Soforthilfegesetz die Heizkosten für Wohngebäude in Dresden (Fernwärmekosten + Heiznebenkosten) zwischen 0,17 Euro/kWh und 0,20 Euro/kWh liegen. Am 31.05.2024 haben Sie die Anfrage Nr. AF3949/24 der SPD-Fraktion im Stadtrat vom 08.05.2024 beantwortet. In dieser Antwort ist auch der folgende Abschnitt enthalten:
„Zum heutigen Zeitpunkt kann ich Ihnen mitteilen, dass am 28. Mai 2024 ein erster Austausch zwischen Vertretern des Geschäftsbereichs Arbeit, Soziales, Gesundheit und Wohnen sowie der SachsenEnergie AG stattfand, um regionale Abweichungen der Kosten für Fernwärme in Dresden im Vergleich zum bundesweiten Heizspiegel darstellen und beziffern zu können. Damit verbunden prüft der zuständige Geschäftsbereich derzeit, wie die Betrachtung der Angemessenheitsgrenzen auf Grundlage des reinen Verbrauchs erfolgen kann und dies zulässig im Rahmen des
SGB II / SGB XII bzw. der Rechtsprechung ist.“
In diesem Zusammenhang bitte ich um die Beantwortung folgender Fragen:
Fragen:
- Wie lässt sich das Ergebnis des am 28. Mai 2024 stattgefundenen Austauschs zwischen Vertretern des GB Arbeit, Soziales, Gesundheit und Wohnen sowie der SachsenEnergie
AG in Bezug auf die Dresdner Abweichung der Fernwärmepreise im Vergleich zum bundesweiten Heizspiegel beziffern? Um welchen ungefähren Prozentsatz weichen die aktuellen Heizkosten auf Basis von Fernwärme in Dresden von den Heizkosten (Energieträger/Heizsystem Fernwärme), auf denen der bundesweite Heizspiegel 2023 beruht, ab? - Welche weiteren aktuellen Kenntnisse hat die Landeshauptstadt Dresden seit dem Austausch vom 28.5.2024 in Bezug auf die Dresdner Abweichung der Fernwärmepreise im Vergleich zum bundesweiten Heizspiegel hinzugewonnen? Hat die Landeshauptstadt Dresden beispielweise aus dem Sozialamt oder dem Jobcenter Informationen erhalten oder abgefragt, wie hoch die fernwärmebasierten Heizkosten in den aktuell eingereichten Heizkostenabrechnungen der Hilfeempfänger sind?
- Bis wann wird die angekündigte Prüfung dauern, wie die Betrachtung der Angemessenheitsgrenzen auf Grundlage des reinen Verbrauchs erfolgen kann? Wann wird eine entsprechende Überarbeitung der „Dienstanweisung für die Erbringung der Leistungen für Unterkunft und Heizung“ als verbindliche Grundlage für die Arbeitsweise von Jobcenters und Sozialamt Dresden (SGB II / SGB XII) vorliegen?
- In Ihrer Antwort verweisen Sie auf das Bundessozialgericht, welches in seinem Urteil vom 2. Juli 2009 (Az: B 14 AS 36/08 R) unter Bezug auf die Tabelle des bundesweiten Heizspiegels den Grenzwert festgelegt habe, dass bei dessen Überschreitung die Annahme der Unangemessenheit der Aufwendungen für Heizung gerechtfertigt sei. Auch 2009 hat der bundesweite Heizspiegel schon zwei Tabellen aufgewiesen; auf der linken Seite eine Tabelle zur Bewertung des Verbrauchs [in kWh je m² und Jahr] und auf der rechte Seite eine Tabelle zur Bewertung der Kosten [in Euro je m² und Jahr]. In einem neueren Urteil vom 12.06.2013 (Az: B 14 AS 60-12 R, Randnummer 25) hat das Bundessozialgericht die Angemessenheitsprüfung der Heizkosten einer Wohnung anhand der Tabellenwertes für den Verbrauch vorgenommen. Stimmen Sie der Ansicht zu, dass mit dieser BSG-Entscheidung geklärt ist, dass die Bewertung der Angemessenheitsgrenzen auf Grundlage des Verbrauchswertes aus dem Bundesheizspiegel im Rahmen des SGB II / SGB XII und der Rechtsprechung erfolgen kann?
- In Anlehnung zu den Formulierungen aus der „Richtlinie der Landeshauptstadt Schwerin zur Bestimmung der Bedarfe nach § 22 SGB II (Bedarfe für Unterkunft und Heizung) / §§ 35 SGB XII (Unterkunft und Heizung) und 36 SGB XII (Sonstige Hilfen zur Sicherung der Unterkunft)“ vom 01.01.2024 schlagen wir folgende Festlegung zur Bestimmung der Angemessenheit von Heiz- und Warmwasserkosten zur Aufnahme in die Dienstanweisung für Dresden vor und bitte Sie um Einschätzung, ob diese zulässig im Rahmen des SGB II/SGB XII und der Rechtsprechung ist:
„Für die Beurteilung angemessener Heizkosten einschließlich Warmwasserversorgung wird der aktuelle bundesweite Heizspiegel ausschließlich bezogen auf den Verbrauch zugrunde gelegt. Die Beurteilung der Angemessenheit der Heizkosten und erfolgt auf der Basis der Kategorie Verbrauchswerte “zu hoch“ aus dem zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Heizspiegel [in kWh/m² im Jahr]. Die grundstückskonkreten Heizkosten [in Euro/m²] ergeben sich aus den der Heizkostenabrechnung zu entnehmenden gesamten Heizkosten der Liegenschaft (Einkaufspreis für Heizenergie plus alle Heiznebenkosten wie Betriebsstrom der Heizanlage, Verbrauchserfassung, Wartung/Prüfung der Erfassungsgeräte, Gerätekosten für Heizkosten- und Warmwasserzähler, ggf. Warmwassererberprobung, …), bezogen auf die beheizte Fläche der Liegenschaft. Der Richtwert für die abstrakt angemessenen Heizkosten [in Euro/Jahr] wird ermittelt durch Multiplikation des jeweils maximal angemessenen Verbrauchswertes aus dem Heizspiegel [in kWh/m² im Jahr] mit der als angemessen anerkannten Wohnungsgröße [m²] und mit dem Wert der Heizkosten der Liegenschaft [Euro/kWh]. Das Ergebnis ist der Wert für die abstrakt angemessenen Heizkosten [in Euro pro Jahr].“ - Wie erfolgt bis zum Inkrafttreten der überarbeiteten Dienstanweisung die Überprüfung und Bewertung der Angemessenheit der Heizkosten (insbesondere beim Energieträger/Heizsystem Fernwärme) durch Jobcenter und Sozialamt? Werden aktuell weiterhin Kostensenkungsaufforderungen, Leistungsbescheide und Widerspruchsbescheide auf der Grundlage der Heizkosten statt des Heizverbrauches erlassen? Ist ggf. der Erlass von nur vorläufigen Bescheiden möglich?
- Im Bereich der Landeshauptstadt Dresden gibt es noch immer eine Reihe von ungedämmten Plattenbauten aus den Baujahren vor 1990 (z.B. im Jägerpark, in Gorbitz-Nord/Neu Omsewitz, im Umfeld des Otto-Dix-Ringes, auch am Neustädter Markt). Eine Vielzahl von Gebäuden, z.B. aus dem Bestand der VONOVIA, ist noch immer mit offenliegenden, ungedämmten Heizungsrohren ausgestattet. Erfahrungen aus Beratungseinrichtungen zeigen, dass in diesen Gebäuden die Heizkosten und -verbräuche deutlich höher sind, als bei sanierten und gedämmten Gebäuden und dass es wegen der Rohrwärme-Problemantik (siehe VDI 2077) zu erheblichen Abweichungen des Heizverbrauchs einzelner Wohnungen kommen kann, ohne dass dem ein entsprechendes Heizverhalten der Mieter zugrunde liegen muss. Andererseits ist die Landeshauptstadt Dresden weiterhin auch auf diesen Wohnungsbestand zur Unterbringung von Empfängern von SGBII/SGBXII-Leistungen angewiesen. Der Bundesheizspiegel enthält auch nach Gebäudebaujahr differenzierte Heizspiegel, darunter einen Heizspiegel für Bauten mit dem Baujahr bis 1977. Halten Sie es für zulässig im Rahmen des SGB II / SGB XII und der Rechtsprechung, die Angemessenheit der Heizkosten für die oben beschriebenen Gebäude auf der Grundlage des aktuellen Heizspiegels 2023 (für Gebäudebaujahr bis 1977) zu bewerten?
Vielen Dank.
Mit freundlichen Grüßen
Julia Hartl