Eine ausgestreckte Hand wehrt eine Faust ab

Umsetzung der Istanbul-Konvention in der Landeshauptstadt Dresden

ANTRAG
SPD-Fraktion

Beschlussvorschlag:

Der Stadtrat der Landeshauptstadt Dresden beschließt:

  1. Die Landeshauptstadt Dresden erkennt die aus dem „Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ (kurz Istanbul-Konvention) erwachsenen Verpflichtungen an, Opfer häuslicher und sexualisierter Gewalt zu schützen.
  2. Der Oberbürgermeister wird beauftragt, bis zum 28. Februar 2020 ein Konzept zur Umsetzung der Istanbul-Konvention in der Landeshauptstadt Dresden vorzulegen und dafür die Akteur_innen des Hilfesystems in geeigneter Weise einzubinden. Dabei ist auch der Schutzbedarf für männliche Opfer häuslicher und sexualisierter Gewalt zu prüfen und in das vorzulegende Konzept zu integrieren.
  3. Der Oberbürgermeister wird beauftragt, Opfer von Gewalt im Sinne der Istanbul-Konvention, insbesondere Frauen und Kinder, angemessen zu schützen und dafür die vorhandenen Kapazitäten in den Schutzeinrichtungen sowie den Beratungsstellen entsprechend der Empfehlungen der Istanbul-Konvention auszubauen.
  4. Um Menschen mit Behinderungen den Zugang zu den Schutzstrukturen zu ermöglichen, ist der barrierefreie Um- und ggf. Neubau der Frauen- und Kinderschutzeinrichtung anzustreben. Die für diesen Zweck durch das Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend (BMFSFJ) aufgesetzte Invest-Förderrichtlinie „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ wird durch die Bereitstellung kommunaler Kofinanzierung aktiviert.
  5. Der Oberbürgermeister wird beauftragt, in der Landeshauptstadt Dresden eine „Clearingstelle“ für Opfer häuslicher Gewalt einzurichten und hierfür mit dem Freistaat Sachsen in Verhandlungen zu treten, um die Möglichkeiten einer Landesförderung zu eruieren.

Beratungsfolge:

Ältestenrat nicht öffentlich beratend
Dienstberatung des Oberbürgermeisters nicht öffentlich beratend
Ausschuss für Allgemeine Verwaltung, Ordnung und Sicherheit (Eigenbetrieb IT-Dienstleistungen) nicht öffentlich 1. Lesung         (federführend)
Beirat Gesunde Städte öffentlich beratend
Beirat für Menschen mit Behinderungen öffentlich beratend
Ausschuss für Finanzen nicht öffentlich beratend
Ausschuss für Soziales und Wohnen nicht öffentlich beratend
Ausschuss für Allgemeine Verwaltung, Ordnung und Sicherheit (Eigenbetrieb IT-Dienstleistungen) nicht öffentlich beratend            (federführend)
Stadtrat öffentlich beschließend

Begründung:

Zu 1. und 2.

Am 1. Februar 2018 ist in der Bundesrepublik Deutschland das „Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ vom 11. Mai 2011 in Kraft getreten. Mit dem auch als „Istanbul-Konvention“ bezeichneten völkerrechtlichen Vertrag gelten somit auch in der Bundesrepublik verbindliche Rechtsnormen zur Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt.

Die Konvention ist entsprechend der Grundsätze des humanitären Völkerrechts und in dem Bewusstsein geschaffen worden, dass „[…] Gewalt gegen Frauen Ausdruck historisch gewachsener ungleicher Machtverhältnisse darstellt, […] strukturellen Charakter hat, Frauen und Mädchen häufig schweren Formen von Gewalt wie häuslicher Gewalt, sexueller Belästigung, Vergewaltigung, Zwangsverheiratung, im Namen der sogenannten „Ehre“ begangener Verbrechen und Genitalverstümmelung ausgesetzt sind, häusliche Gewalt Frauen unverhältnismäßig stark betrifft und sowohl Frauen als auch Mädchen einer insgesamt größeren Gefahr geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt sind als Männer.“ Allerdings schließt die Istanbul-Konvention auch Männer und Jungen als Opfer von Gewalt dezidiert ein, weshalb auch ihr Schutzbedarf Inhalt der Dresdner Umsetzungskonzeption sein soll.

Hinsichtlich der Definition von Gewalt wird ebenfalls auf die Istanbul-Konvention Bezug genommen, die unter Art. 3, Buchstabe a alle Handlungen geschlechtsspezifischer Gewalt, die zu körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Schäden führen, darunter subsummiert. Unter Buchstabe b wird häusliche Gewalt definiert als „alle Handlungen körperlicher, sexueller, psychischer oder wirtschaftlicher Gewalt, die innerhalb der Familie oder Haushalts oder zwischen früheren oder derzeitigen Eheleuten oder Partnerinnen bzw. Partnern vorkommen […]“.

Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) des Bundeskriminalamtes zu Partnerschaftsgewalt erfasst für 2017 insgesamt 138.893 Personen, die Opfer von Partnerschaftsgewalt wurden. 82 Prozent der Opfer (113.965 Personen) sind Frauen. Fast die Hälfe von Ihnen hat mit dem Tatverdächtigen in einem gemeinsamen Haushalt gelebt. Bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung in Partnerschaften sind die Opfer fast zu 100 Prozent weiblich, bei Stalking und Bedrohung in der Partnerschaft sind es fast 90 Prozent. Im Lagebild zu „Straftaten der häuslichen Gewalt“ des Landeskriminalamtes Sachsen werden 2018 insgesamt 8.635 Fälle häuslicher Gewalt dokumentiert. Davon sind 1.105 Fälle in der Landeshauptstadt angezeigt worden. Im Jahr 2017 waren es 1.112 Fälle.

Die Lagebilder des Bundes- bzw. Landeskriminalamtes geben allerdings nur einen Überblick darüber, in welchem Umfang häusliche Gewalt bei der Polizei zur Anzeige gebracht wurde. Das Dunkelfeld ist ungleich größer und lässt bezugnehmend zu der großen 2004 veröffentlichten repräsentativen Studie „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“ des BMFSFJ ein frappierendes Ausmaß vermuten, wonach in Deutschland jede vierte Frau im Alter von 16 bis 85 mindestens einmal in ihrem Leben körperliche und/oder sexualisierte Partnerschaftsgewalt erlebt.

 

zu 3. und 4.

Nicht nur aus der sächsischen Landesverfassung, auch aus dem Recht auf körperliche Unversehrtheit im Artikel 2 des Grundgesetzes leitet sich die Pflicht für das staatliche Handeln ab, adäquate Schutz- und Hilfesysteme bereitzustellen.

Art. 23 der Istanbul-Konvention verpflichtet die Vertragsparteien, die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen zu treffen, um die Einrichtung von geeigneten, leicht zugänglichen Schutzunterkünften in ausreichender Zahl zu ermöglichen, um Opfern, insbesondere Frauen und ihren Kindern, eine sichere Unterkunft zur Verfügung zu stellen und aktiv auf die Opfer zuzugehen.

Die derzeit von der Landeshauptstadt Dresden vorgehaltenen 32 Plätze reichen nicht aus; regelmäßig müssen schutzsuchende Frauen und Kinder abgewiesen werden. Die Istanbul-Konvention empfiehlt, sichere Unterkünfte zur Bekämpfung häuslicher Gewalt zu schaffen, die auf alle Regionen verteilt sind und eine Familie pro 10.000 Einwohner_innen aufnehmen können (Punkt 135 des Kommentars zu Art. 24 der Istanbul-Konvention).

Zudem kann die Schutzeinrichtung in Dresden aufgrund der mangelnden Barrierefreiheit kaum Frauen mit Behinderungen aufnehmen, die Opfer sexueller oder häuslicher Gewalt geworden sind, obgleich bekannt ist, dass gerade bei dieser Personengruppe die Gewaltgefährdung ungleich höher ist. Nötig sind deshalb die Verbesserung der Platzzahl des Hilfesystems insgesamt und besonders der barrierefreie Ausbau.

Bundesfrauenministerin Dr. Franziska Giffey (SPD) hat hierfür ein Investitionsförderprogramm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ mit 120 Millionen Euro bis 2023 aufgelegt, in dem für Sachsen (nach Königsteiner Schlüssel) ca. 5 Millionen Euro für den barrierefreien Aus-, Um- und ggf. sogar Neubau von Schutzeinrichtungen zur Verfügung stehen. Dafür muss ein Eigenanteil von 10 Prozent durch Dritte beigebracht werden.

 

zu 5.

Ein effizientes Clearing findet in Dresden leider bisher nicht statt. Hier sind uns andere Städte voraus: In Hamburg erfolgt die Aufnahme in ein Frauenhaus beispielsweise seit zwei Jahren ausschließlich über eine zentrale Clearingstelle. Dort finden schutzsuchende Frauen (und ihre Kinder) sofortige Zuflucht für ein paar Tage. In dieser Zeit wird geklärt, wie ihre Situation ist und welche Art der Unterstützung sie tatsächlich brauchen. Das kann ein Frauenhausplatz sein, oder z. B. ein Spezialangebot für Suchtkranke oder eine Beratungsstelle. Erst nach diesem Clearingprozess wird die Frau ggf. von einer Schutzeinrichtung aufgenommen. Das Verfahren sichert passgenaue Unterstützung und entlastet die Frauenhäuser.

Daher wird unter diesem Punkt beantragt, hierfür an den Freistaat Sachsen heranzutreten und die Möglichkeiten einer Finanzierung über Landesförderung auszuloten.

 

 

Dana Frohwieser
SPD-Fraktion

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